Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Geschätzt erkranken 16 bis 20 von 100 Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung (Dysthymie). Frauen sind öfter betroffen als Männer, ältere Menschen häufiger als junge.1 Dennoch ist nicht in allen Einzelheiten geklärt, wie Depressionen entstehen und welche Ursachen dahinterstecken. In den letzten Jahren haben Studien zunehmend eine Verbindung zwischen dem Darm und der Entstehung von Depressionen aufgezeigt. Erst kürzlich lieferten diverse Forschungsgruppen viele neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass die Gesundheit des Darms einen bedeutenden Einfluss auf die psychische Gesundheit haben kann. In diesem Wissenskompass werden wir uns mit den Zusammenhängen zwischen Darmmikrobiota und Depression befassen.
Die verschiedenen Mikroorganismen der intestinalen Mikrobiota bilden ein Ökosystem, das in einem bestimmten Gleichgewicht für die Gesundheit des Organismus wichtig sein kann. Wie das genau funktioniert, erfahren Sie HIER. Indem sie das Immunsystem unterstützen, schützen die Mikroorganismen unseren Körper vor Krankheiten. Und über die Darm-Hirn-Achse stehen sie im ständigen Austausch mit dem Gehirn und können beeinflussen, wie Menschen fühlen, denken und handeln. Mehr dazu HIER.
Wird dieses Gleichgewicht gestört, kommt es zu einer sogenannten Dysbiose der Darmmikrobiota, die u. a. mit einer Reihe psychischer und neurologischer Erkrankungen assoziiert sein kann. Auch die generelle Beschaffenheit der Darmmikrobiota und ihrer Stoffwechselprodukte hat, da sind sich Forschende inzwischen sicher, direkte Auswirkungen darauf, wie anfällig jemand für psychische Erkrankungen ist.
Zusammensetzung der Darmmikrobiota und deren Stoffwechselprodukte
Die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota depressiver Menschen unterscheidet sich von der gesunder Personen: Diverse Studien, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden, konnten dies nicht nur nachweisen, sondern auch bestimmte Bakterienfamilien und -gattungen identifizieren, die mit der Ausprägung depressiver Symptome in Zusammenhang stehen könnten. So analysierten Sanada et al. 2020 im Rahmen einer Übersichtsarbeit verschiedene Beobachtungsstudien und konnten zeigen, dass Patientinnen und Patienten mit einer klinischen Depression im Vergleich zu den nicht-depressiven Kontrollpersonen eine eindeutig geringere Anzahl der Bakterienfamilie Prevotellaceae sowie der Bakteriengattungen Coprococcus und Faecalibacterium aufwiesen.4 Weiter zum REVIEW
Es gibt verschiedene mögliche Wege, über die die Darmmikrobiota Einfluss auf die Psyche bzw. die Entstehung von Depressionen nehmen kann. Beispielsweise wurden in einem jüngst veröffentlichten Artikel im Nature Journal eine Reihe verschiedener Bakterien identifiziert, die mit Depressionen in Verbindung gebracht werden, und die wiederum bestimmte chemische Stoffe produzieren, die mit Beeinträchtigungen der Psyche assoziiert werden.5
Permeabilität des Darms – der Weg in den Blutkreislauf
Durch die Permeabilität des Darms können biologisch aktive Substanzen der Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und damit auf verschiedenen Wegen Einfluss auf andere Organe sowie auf Schlaf, Psyche oder Immunsystem nehmen.
Bei einem sogenannten Leaky-Gut-Syndrom ist die Durchlässigkeit jedoch erhöht und kann zu einem unerwünschten Zustrom von mikrobiellen Bestandteilen führen. Genaueres dazu erfahren Sie HIER. Diese Verbindungen können Entzündungen hervorrufen, was wiederum Auslöser depressiver Symptome sein oder zur Verschlimmerung selbiger führen kann.5
Unsere Ernährung ist eng mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen verknüpft, denn sie kann das Mikrobiom maßgeblich beeinflussen. Als essenzielles Bindeglied und wechselseitiges Kommunikationssystem zwischen Körper und Psyche fungiert dabei die Darm-Hirn-Achse. Die moderne Psychotherapie sieht hier enormes Potenzial für neue, ganzheitliche Therapieansätze. Speziell Probiotika stehen dabei im Zentrum des Forschungsinteresses.
Die Darm-Hirn-Achse stellt die Verbindung zwischen dem Nervensystem des Verdauungstrakts und dem des Gehirns dar. Diese stehen in einem ständigen wechselseitigen Austausch miteinander und können sich gegenseitig beeinflussen. Da an der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn auch Botenstoffe wie Neurotransmitter, Hormone sowie kurzkettige Fettsäuren beteiligt sind, kann sich der Zustand in unserem Darm auch auf unser seelisches Wohlbefinden auswirken – und umgekehrt.
Dies bedeutet vereinfacht: Geht es uns seelisch schlecht, schlägt sich dies auf unsere Verdauung nieder. Gerät die Darmmikrobiota aus dem Gleichgewicht, spüren wir das unter Umständen auch auf mentaler Ebene. Wir reagieren stressempfindlich, sind angespannt und unausgeglichen. Weiterführende Hintergrundinformationen zur Darm-Hirn-Achse und ihrem Einfluss auf unsere Gefühlswelt gibt es HIER und HIER.
Probiotika können die Zusammensetzung des Mikrobioms verbessern, die Darmbarriere stärken, Entzündungen reduzieren sowie verschiedene neurologische und psychische Funktionen modulieren. In diesem Zusammenhang analysierte auch die Forschungsgruppe um Ansari et al. (2020) eine Vielzahl klinischer Studien, die die Auswirkungen von Probiotika und Präbiotika auf verschiedene psychische Störungen untersuchten. Die Ergebnisse zeigten, dass die Verwendung von Probiotika und Präbiotika positive Effekte u. a. auf die Symptome von Depressionen und Angststörungen haben kann. Diese Effekte können auf verschiedene Mecha-nismen zurückgeführt werden, wie beispielsweise die Modulation von Neurotransmittern und die Verringerung von Entzündungsreaktionen im Körper.9
Zum REVIEW
Andere Forschungsarbeiten erbrachten den Nachweis, dass Patientinnen und Patienten, die an Verstopfung und Depressionen leiden, von dem Verzehr von Probiotika profitieren können. Mehr dazu HIER.
Probiotika sind derzeit am besten
für den begleitenden Einsatz bei
Depressionen untersucht.
So impliziert eine aktuelle Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel die unterstützende Wirkung von Probiotika bei der Behandlung von Depressionen. Die Probandinnen und Probanden, die zusätzlich zur üblichen Dosis Antidepressivum auch Probiotika einnahmen, wiesen eine deutlich bessere Stimmung auf als die Vergleichsgruppe. Zudem veränderte sich in dieser Gruppe die Zusammensetzung der Darmmikrobiota – zumindest zeitweise: Eine Analyse von Stuhlproben zeigte eine Zunahme der Lactobacillus-Gattung am Ende der Behandlung. Ein Effekt, der zusammen mit der Abnahme der depressiven Symptomatik einherging.10 Eine weitere STUDIE von Otaka et al. aus dem Jahr 2021 konnte ebenfalls zeigen, dass sich durch die Einnahme von probiotischen Milchsäurebakterien die depressiven Symptome verbesserten.11
Psychobiotika
Mittlerweile hat sich in diesem Forschungsfeld
der Begriff Psychobiotika etabliert.
Mehr dazu erfahren Sie HIER.
Der gezielte Einsatz von bestimmten Probiotika kann demnach die Behandlung von Depressionen unterstützen. Ein Antidepressivum oder eine Psychotherapie ersetzen sie aber keinesfalls, das betonen alle Studienautoren.
1 Bundesministerium für Gesundheit: Depression: Unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html (aufgerufen am 12.06.2023).
2 Walker, E. A. et al. (1992): Comorbidity of gastrointestinal complaints, depression, and anxiety in the Epidemiologic Catchment Area (ECA) Study. In: The American Journal of Medicine 92, S.26 – 30. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/1531168/ (aufgerufen am: 26.06.2023).
3 Kelly, J. R. et al. (2016): Transferring the blues: depression-associated gut microbiota induces neurobehavioural changes in the rat. In: Journal of Psychiatric Research 82, S. 109 – 118. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27491067/ (aufgerufen am: 26.06.2023).
4 Sanada, K. et al. (2020): Gut microbiota and major depressive disorder: A systematic review and meta-analysis. In: Journal of Affective Disorders 266, S. 1 – 13. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32056863/ (aufgerufen am: 29.06.2023).
5 Radjabzadeh, D. et al. (2022): Gut microbiome-wide association study of depressive symptoms. In: Nat Commun 13, 7128. Unter: https://www.nature.com/articles/s41467-022-34502-3 (aufgerufen am: 19.06.2023).
6 Ventriglio, A. et. al (2020): Mediterranean Diet and its Benefits on Health and Mental Health: A Literature Review. In: Clin Pract Epidemiol Ment Health 16, S. 156 – 164. Unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7536728/ (aufgerufen am 29.06.2023).
7 Bayes, J. et al. (2022): The effect of Mediterranean diet on the symptoms of depression in young males (the “AMMEND: A Mediterranean Diet in MEN with Depression“ study): a randomized controlled trial. In: The American Journal of Clinical Nutrition, 116 (2), S. 572 – 580. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35441666/ (aufgerufen am 29.06.2023).
8 Jacka, F. N. et al. (2017): A randomised controlled trial of dietary improvement for adults with major depression (the ’SMILES‘ trial). In: BMC Medicine 15, 23. Unter: https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-017-0791-y (aufgerufen am 29.06.2023).
9 Ansari, F. et al. (2020): The Effects of Probiotics and Prebiotics on Mental Disorders: A Review on Depression, Anxiety, Alzheimer, and Autism Spectrum Disorders. In: Curr Pharm Biotechnol 21, S. 555 – 565. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31914909/ (aufgerufen am 29.06.2023).
10 Schaub, A.-C. et al. (2022): Clinical, gut microbial and neural effects of a probiotic add-on therapy in depressed patients: a randomized controlled trial. In: Translational Psychiatry 12, 227. Unter: https://www.nature.com/articles/s41398-022-01977-z (aufgerufen am 29.06.2023).
11 Otaka, M. et al. (2021): Effect of Lacticaseibacillus paracasei Strain Shirota on Improvement in Depressive Symptoms, and Its Association with Abundance of Actinobacteria in Gut Microbiota. In: Microorganisms 9 (5), 1026. Unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34068832/ (aufgerufen am 29.06.2023).