Diplom-Oecotrophologin Dr. Mareike Großhauser ist Ernährungsberaterin im Bereich Profi- und Breitensport und bietet kompetente Beratung für eine gesunde Ernährung an. Seit Januar 2014 steht sie den Athletinnen und Athleten des Olympiastützpunkts Rheinland-Pfalz/Saarland beratend zur Seite. Wir trafen sie im Rahmen des Olympic Sports Medicine Congress 2023 in München zum Interview und haben mit ihr über die Herausforderungen und Chancen einer darmgesunden Ernährung im Leistungssport gesprochen.
Interview: Darmgesunde Ernährung im Leistungssport
Sie sind Diplom-Oecotrophologin mit Spezialisierung im Bereich Sporternährung und betreuen unter anderem Profisportler/-innen. In welchen Sportarten sind diese aktiv?
Ich bin freiberufliche Ernährungswissenschaftlerin und betreue viele Leistungssportler/-innen aus den unterschiedlichsten Sportarten. Dazu zählen Badminton, Turnen, Leichtathletik, moderner Fünfkampf, Fußball, Rudern, Schwimmen und Taekwondo. Das Spannende daran ist, dass ich aus jeder Sportart etwas lerne, das ich bei einer anderen Disziplin einbringen kann. Viele der Anfragen kommen dabei direkt über den Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland, aber auch über Vereine, Sportmediziner/-innen oder Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten.
Welchen Einfluss hat der Leistungssport auf die Darmgesundheit?
Ich würde sagen einen großen, weil Leistungssportler/-innen wiederkehrend intensiven Belastungsphasen ausgesetzt sind. Dementsprechend ist die Beanspruchung des Verdauungstraktes durch Erschütterungen und thermische Belastungen größer als bei Menschen, die keinen Sport treiben.
Im ungünstigsten Fall bestehen schon Unverträglichkeiten durch schlechte Ernährungsgewohnheiten. Sport kann solche Probleme häufig noch verstärken. Die thermische und mechanische Belastung macht sich häufig direkt im Darm bemerkbar, da es zu einem Verlust der Darmbarrierefunktion kommen kann. Die Folge können unter anderem allergieähnliche Beschwerden und Bauchschmerzen sein. Das wiederum führt zur Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Athletin bzw. des Athleten.
Die Auswirkungen auf den Darm sind von Sportart zu Sportart unterschiedlich: Am höchsten belastet sind sicherlich Läufer/-innen aufgrund der Erschütterungen; diese sind beim Schwimmen oder Radfahren nicht ganz so intensiv. Triathlet/-innen essen beispielsweise das Meiste während der Radtour und nicht beim Laufen, weil sie in dieser Phase den Darm weniger belasten. Allerdings muss man die Sporttreibenden immer individuell betrachten.
Ich hatte zum Beispiel mal eine Schwimmerin, die relativ zeitknapp vor dem Training noch eine Schale Müsli aß. Sie überstand das Training problemlos, was aber bei vielen anderen Athlet/-innen sehr wahrscheinlich zu Beeinträchtigungen führen könnte.
Was kann eine darmgesunde Ernährung leisten?
In erster Linie sorgt sie für mehr Wohlbefinden: Wenn sich die Körpermitte wohlfühlt, dann ist der Geist auch gut drauf. Die Athlet/-in ist nicht abgelenkt und kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Eine darmgesunde Ernährung ist wichtig, um die Energie- und Nährstoffversorgung aufrechtzuerhalten. Wir wissen, dass bestimmte Bakterienstämme wichtig sind für die Versorgung mit Calcium, B-Vitaminen und auch die Aufnahme von Eisen beeinflussen können. Ein Ungleichgewicht im Darm wirkt sich somit auch nachteilig auf die Nährstoffaufnahme aus.
Eine Dysbalance kann dann entstehen, wenn man zu wenig von den wertvollen Lebensmitteln zuführt. Die Ernährung ist hier absolut ausschlaggebend. Nicht nur die Zufuhr ist entscheidend, sondern auch die Aufnahme im Körper. Wenn nicht ausreichend Nährstoffe aufgenommen werden, kann das auch oder Ermüdung fördern, weil beispielweise nicht ausreichend Eisen aufgenommen wird, unter anderem kann die Schlafqualität leiden und Beschwerden, die bereits im Alltag bestehen, werden meistens unter Belastung verstärkt.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung einer darmgesunden Ernährung im Leistungssport?
Leistungssportler/-innen trainieren viel, intensiv und sehr regelmäßig und brauchen deshalb auch viele gut bekömmliche sowie leicht verdauliche Kohlenhydrate und reduzieren daher die nicht verdaulichen Kohlenhydrate, die Ballaststoffe. Genau das sind allerdings unsere Lieferanten an Nährsubstanz für unsere Bakterien im Darm. Das heißt, wir müssen günstige Zeitfenster für ein ausgewogenes Ballaststoffprofil der zugeführten Speisen als wichtiges Bakterienfutter definieren.
Bitte erläutern Sie den „Food-First-Ansatz“? Funktioniert er auch bei starken Belastungsphasen im Spitzensport?
Grundsätzlich versteht man unter dem Food-First-Ansatz die bevorzugte Verwendung von Lebensmitteln und Speisen gegenüber Supplementen. Das hängt auch mit der Food-Matrix zusammen:
Die Food-Matrix ist das Zusammenspiel natürlich vorhandener Lebensmittelbestandteile.
Wer eine Banane isst, nimmt nicht nur Kohlenhydrate zu sich, sondern gleichzeitig auch Ballaststoffe, Wasser sowie einen gewissen Anteil an Mikronährstoffen. Dies führt zu Synergie-Effekten. Das ist für den Körper vorteilhafter, als nur eine isolierte Substanz zu sich zu nehmen. Ein Nahrungsergänzungsmittel kann an der einen Stelle zwar einen Vorteil schaffen, an anderer Stelle jedoch einen möglichen Nachteil. Würde ich mich beispielsweise immer nur auf Calcium konzentrieren, kann das irgendwann nachteilig für Eisen, Zink und Magnesium sein.
Wenn ich immer aggressiv supplementiere, störe ich das Gleichgewicht. Natürlich gibt es immer begründete Fälle, warum man substituiert. Supplementationen sind allerdings immer zeitlich limitiert und durchdacht, um solche Ungleichgewichte zu verhindern.
Der Food-First-Ansatz hält immer stärkeren Einzug in der Sporternährung, weil wir in diesem Bereich sehr viel Isoliertes, vor allem Zucker zuführen, z. B. über Sportgetränke, Kohlenhydratgel oder auch Riegel, Zucker ist einerseits gut für die Muskulatur und die Glykogeneinlagerung, aber für den Darm kann es eher nachteilig sein, da auch ungünstige Bakterienpopulationen damit ernährt werden.
Die größte Herausforderung sind intensive Belastungsmomente, in denen die Sportlerin bzw. der Sportler nicht einfach in eine Banane oder ein Vollkornbrot beißen kann. In diesen Situationen brauchen wir etwas, das gut bekömmlich und schnell verfügbar ist, wie beispielsweise ein Kohlenhydratgel. Ich denke allerdings, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, was die besten Optionen sind. Hier gibt es definitiv noch Optimierungsbedarf, um Leistungsunterstützung, Wohlbefinden und Darmgesundheit noch mehr in Einklang zu bringen.
Wie können Athletinnen und Athleten eine darmgesunde Ernährung in den Trainingsalltag bzw. in bestimmte Trainingsphasen einbauen? Können Sie einen Tipp geben?
Gerade während intensiver Trainingsphasen gibt es eigentlich wenige Mahlzeitenfenster, die für eine ballaststoffreiche Ernährung geeignet sind. Das heißt, das wäre dann eher nach den Trainingseinheiten. Aber da sollte man dann auch den Fokus auf eine darmgesunde Ernährung legen mit probiotischen Bakterien, mit präbiotischen Ballaststoffen und gerne auch mit fermentierten Lebensmitteln.
In welchen Belastungsphasen von Sporttreibenden machen Probiotika Sinn?
Grundsätzlich sind probiotische Bakterien immer wichtig, weil sie für uns arbeiten und uns Gutes tun. Und wir wissen auch, dass sie bei Sportlerinnen und Sportlern , die sehr anfällig gegenüber Atemwegserkrankungen sind, einen positiven Nutzen haben, der belegt ist. Natürlich bieten sich da die Herbst- und Wintermonate an. Wenn man bedenkt, dass Sportler/-innen einen sehr stressigen Alltag haben, tut es gut, wenn man schnell und einfach für Nachschub und Unterstützung sorgen kann.