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Dietary Microbes: Die Bedeutung nützlicher Mikroorganismen in Lebensmitteln

„Dietary microbes – nützliche Mikroorganismen in Lebensmitteln“ – lautete das Titelthema einer Online-Veranstaltung, die die europäische Zentrale von Yakult für medizinische Fachkreise Ende März 2023 veranstaltete. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem noch relativ jungen Forschungsgebiet wurden vorgestellt und folgenden Fragen auf den Grund gegangen:

  1. Welche Bedeutung hat die Darmmikrobiota für das Immunsystem und die Gesundheit?
  2. Welchen Einfluss haben Ballaststoffe und fermentierte Lebensmittel auf die Darmgesundheit?
  3. Welche Herausforderungen birgt das Forschungsgebiet der Probiotika?

Welche Bedeutung hat die Darmmikrobiota für das Immunsystem und die Gesundheit?

Prof. Bruno Pot, Science Director bei Yakult Europe, eröffnete die Veranstaltung mit einer interessanten Beobachtung, die in einem Review von J. P. Bach im Jahr 2002 publiziert wurde: Während zwischen 1950 und der Jahrtausendwende weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Masern, Röteln und Mumps kontinuierlich abnahmen, stieg die Inzidenz für nichtübertragbare, genetisch bedingte Krankheiten wie Diabetes Typ 1, Morbus Crohn, Asthma oder Multipler Sklerose stetig an. Den Rückgang der Infektionskrankheiten führten die Forscher auf die zunehmende Verbesserung hygienischer Bedingungen sowie auf die Bereitstellung von Antibiotika und Impfstoffen zurück. Die Zunahme der nicht übertragbaren Krankheiten lag hingegen nicht offensichtlich auf der Hand.

Der Autor stellte die Hypothese auf, dass das Immunsystem durch den verminderten Kontakt mit pathogenen Keimen weniger häufig gefordert wird und sich dementsprechend nicht weiterentwickeln kann, was wiederum auch zur Entwicklung von Immunerkrankungen führt. (1) Die daraus abgeleitete „Hygiene Hypothese“ wurde im Jahr 2006 von Prof. Francisco Guarner, ebenfalls Veranstaltungsreferent, durch eine entscheidende Erkenntnis ergänzt: Er postulierte, dass der Kontakt mit Krankheitserregern zwar zur „Reifung“ des Immunsystems beitragen könne, insbesondere jedoch die Darmmikrobiota des menschlichen Organismus auf den ständigen Pathogen-Kontakt angewiesen sei.

Denn die Darmbakterien würden nicht nur einen funktionsfähigen Metabolismus garantieren, sondern auch dafür sorgen, dass das Immunsystem dauerhaft trainiert bleibt. Durch den westlichen Lebensstil hätte jedoch die Exposition gegenüber Mikroorganismen aus der Umwelt und der Nahrung immer weiter abgenommen, was die beobachtete Zunahme von Immun- und Stoffwechselstörungen bedingen könne. (2) Um die Frage zu klären, wie dieser Prozess unterbrochen werden und ob die Ernährung eine Lösungsoption sein könne, griff Pot eine Studie des Forscherehepaars Sonnenburg aus dem Jahr 2019 auf: Das Team untersuchte die Entwicklung der Diversität der Darmbakterien und zeigte, dass diese im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte immer weiter abnahm. Vor allem im Industriezeitalter verringerte sich die Exposition gegenüber (pathogenen) Mikroben durch Hygienemaßnahmen und die Gabe von Antibiotika. Gleichzeitig nahm der Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel zu, während die Aufnahme von Ballaststoffen sank. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, sprachen die Forscher die Empfehlung aus, sowohl den Anteil fermentierter Lebensmittel als auch den generellen Ballaststoffanteil in der Ernährung zu erhöhen. (3)

Welchen Einfluss haben Ballaststoffe und fermentierte Lebensmittel auf die Darmgesundheit?

Eine interessante Studie wurde in diesem Zusammenhang von Wastyk et al. (2021) veröffentlicht: Hier stellten die Autoren und Autorinnen die Auswirkungen von Ballaststoffen versus der von fermentierten Lebensmitteln auf die Darmmikrobiota der Teilnehmer/-innen gegenüber. Die Ballaststoff-Gruppe wurde gebeten, den Ballaststoff-Anteil um 20 Gramm pro Tag zu erhöhen, während die Probanden der anderen Gruppe pro Tag sechs Portionen fermentierter Lebensmittel verzehren sollten.

Nach der zehnwöchigen Laufzeit konnten bei den Teilnehmenden der Ballaststoff-Gruppe zwar keine signifikanten Veränderungen bei der Immunantwort nachgewiesen werden, wohl aber eine Veränderung bei der Metabolitensynthese der Darmmikrobiota. Bei den Probanden der Gruppe, die vermehrt fermentierte Lebensmittel zu sich genommen hatte, ergab sich hingegen sowohl eine Veränderung bei der Diversität der Darmmikrobiota als auch eine Abnahme der Entzündungssignale und -aktivitäten. (4)

Wichtig:

Fermentierte Lebensmittel sind nicht zwangsläufig probiotisch, da nicht alle fermentierten Lebensmittel ausreichende Mengen an lebenden Mikroorganismen enthalten, die eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben. Um als probiotisches Lebensmittel zu gelten, müssen diese lebende Mikroorganismen enthalten, die bei Verzehr in ausreichender Menge eine positive gesundheitliche Auswirkung haben. (5)

Mit der Frage, welche Rolle fermentierte Lebensmittel für die Darmgesundheit spielen, beschäftigt sich ebenfalls Prof. Dr. Paul Cotter in seiner wissenschaftlichen Arbeit und teilte seine Erkenntnisse im Rahmen seines Vortrags. Als Teil eines internationalen Forschergremiums entwickelte er für die gemeinnützige Organisation ISAPP (International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics) ein Positionspapier über fermentierte Lebensmittel, die sich auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Kommunikation im Bereich der „Probiotika und Präbiotika“ konzentriert. Nach ISAPP bezieht sich der Begriff „fermentierte Lebensmittel“ auf Nahrungsmittel, die über eine kontrollierte Fermentation durch Mikroorganismen (wie Bakterien oder Hefen) hergestellt werden. Diese Mikroorganismen können natürlich in Lebensmitteln vorhanden sein oder hinzugefügt werden. Im Gegensatz zu verdorbenen Lebensmitteln sind die Bedingungen bei fermentierten Lebensmitteln kontrolliert, und das Lebensmittel ist sicher zu verzehren. Einige Beispiele für fermentierte Lebensmittel sind Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi, Kombucha und Tempeh (siehe Grafik Fermentiert gleich probiotisch?). (6)

nach ISAPP 2020

Prof. Cotter beschrieb in seinem Vortrag folgende Wirkmechanismen fermentierter Lebensmittel und deren Einfluss auf die Darmgesundheit:

  • Fermentierte Lebensmittel können lebende, probiotische Mikroben enthalten. Diese nützlichen Mikroorganismen können dabei helfen, die Anzahl schädlicher Mikroben im Darm zu reduzieren und das Wachstum gesunder Mikroben zu fördern.
  • Durch den Fermentationsprozess werden komplexe Nahrungsmittelbestandteile wie Laktose in Joghurt oder Ballaststoffe in Sauerkraut und Kimchi abgebaut. Dadurch wird die Verdauung und die Nährstoffaufnahme unterstützt. Auch der Nährwert der Lebensmittel kann sich verbessern.
  • An der Fermentation beteiligte Mikroorganismen können zusammen mit den ansässigen Stammbakterienkolonien der Darmmikrobiota die Nahrungsbestandteile direkt im Darm weiterverarbeiten. Dabei können wertvolle, bioaktive Substanzen wie Peptide, Bacteriozine, Aminosäuren, konjugierte Linolsäure oder organische Säuren entstehen.
  • Ein großer Teil des Immunsystems ist im Darm lokalisiert. Die fermentierten Lebensmittel mit den enthaltenen Mikroben und deren Metabolite können direkt mit dem Immunsystem des menschlichen Organismus interagieren. Und das kann wiederum positive Auswirkungen auf die Darmgesundheit haben.

Der konkrete, studienbasierte Nachweis dieser Auswirkungen und v. a. der Wirksamkeit probiotischer Lebensmittel auf die Gesundheit stellt die Wissenschaft jedoch vor eine große Herausforderung.

Herausforderungen im Forschungsgebiet Probiotika

In den letzten Jahrzehnten wurden viele klinische Studien durchgeführt, die sich mit dem Einfluss einzelner Lebensmittel und v. a. mit der Wirksamkeit von Probiotika auf die Darmgesundheit beschäftigt haben. Jedoch zeigen sich große Hürden bei der Umsetzung und der Auswertung der Daten – mehr als in anderen Fachbereichen – wie Prof. Robert-Jan Brummer von der Örebro Universität und Universitätsklinikum, Schweden, in seinem Vortrag aufzeigte.

„In der Probiotikaforschung gibt es zahlreiche klinische Studien. Allerdings werden bei der Methodik häufig die Herangehensweisen der Arzneimittelforschung adaptiert“, stellte Prof. Brummer fest und wies darauf hin, dass sich dieser Forschungszweig auf kranke Menschen fokussiere. „Die Probiotika-Forschung verfolgt jedoch die Zielsetzung, den Nutzen bei einem gesunden Menschen nachzuweisen. Und das stellt die Forschenden je nach Wahl der Studienmodelle vor eine Vielzahl von Herausforderungen.“ Bei Langzeitstudien sei es beispielsweise schwierig, die Laufzeit der Studie in Anbetracht des allgemeinen Engagements der Probanden, bspw. die diätetischen Vorgaben einzuhalten, oder anderer Einflussfaktoren, wie Urlaubszeiten, Jahreszeitenwechsel, Lebensstil etc., festzulegen. Auch würde laut Brummer in diesem Fachgebiet vor allem die inter-individuelle Variation von Biomarkern berücksichtigt werden. Jedoch wäre die Bewertung der intra-individuellen Variation, also jener innerhalb einer Person, ebenfalls, wenn nicht sogar von noch größerer Bedeutung: Einerseits erhielte man so aussagekräftigere Studienergebnisse. Andererseits könne sich dadurch die Frage klären, ob sich die Studienergebnisse auch auf größere Bevölkerungsgruppen übertragen lassen. Dies könne wiederum dazu beitragen, dass der gesundheitliche Nutzen einzelner Probiotika auch offiziell anerkannt werden würde. (7)

                             

Quellen

  1. Bach, Jean-Francois (2002): The effect of infections on susceptibility to autoimmune and allergic dieseases. The New England Journal of Medicine, 2002. DOI: 1056/NEJMra020100

  2. Guarner, Francisco et al. (2006): Mechanisms of Disease: the hygiene hypothesis revisited. Nature Clinical Practice Gastroenteroloy & Hepatology Vol. 3 No. 5, 2006.

  3. Sonnenburg J. L. and Sonnenburg E. D. (2019): Vulnerability of the industrialized microbiota. Science Vol. 366, No. 6464, 2019. DOI: 1126/science.aaw9255

  4. Wastyk H. C. et al. (2021): Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status, 2021. Cell, 2021. DOI: 10.1016/j.cell.2021.06.019

  5. Probiotics – International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics (ISAPP) (isappscience.org)

  6. https://isappscience.org/wp-content/uploads/2019/04/FermentedFoods_outline_rev1029.pdf (aufgerufen am 11.05.2023)

  7. Larsen O. F. A. et al. (2020): On the importance of intraindividual variation in nutritional research, 2020. Beneficial Microbes: 11 (6) Pages: 511 – 517. DOI: https://doi.org/10.3920/BM2020.0044