Zwischen 1986/1988 und 2019/2021 hat die Lebenserwartung bei der Geburt für Männer um etwa sieben Jahre zugenommen und liegt nun bei 78,5 Jahren, während sie für Frauen um etwa fünf Jahre gestiegen ist und nun bei 83,4 Jahren liegt. (1) Obwohl im Alter die Anzahl der gesundheitlichen Herausforderungen und Beschwerden zunehmen kann, bedeutet das Älterwerden nicht zwangsläufig, dass Krankheit, Einschränkungen und Pflegebedürftigkeit unvermeidlich sind. Der individuelle Lebensstil, persönliche Ressourcen, soziale Integration und die Qualität der medizinischen Versorgung können maßgeblich den Gesundheitszustand, die Lebensqualität und das Wohlbefinden beeinflussen.
Die Rolle des Darmmikrobioms für ein gesundes Alter
Die Gesundheit im fortgeschrittenen Lebensalter ist sowohl für jedes Individuum als auch für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Wie das Demografieportal der Bundesregierung zeigt, steigt die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland kontinuierlich.
Zu diesem Thema referierte Dr. Alexander Haslberger, Department für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, am 20. September 2023 im Rahmen einer Online-Seminarreihe über die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Altern sowie über „Die Rolle des Mikrobioms für ein gesundes Alter“.
Definition
Was beeinflusst gesundes Altern?
Als wichtigste Faktoren, die darüber entscheiden, wie der menschliche Körper altert, führte Dr. Haslberger die genetische Disposition sowie epigenetische Modifikationen an, die durch verschiedene Umweltfaktoren beeinflusst werden: „Im Unterschied zur Genetik, die sich mit der Erbsubstanz DNA selbst beschäftigt, liefert die Epigenetik zusätzliche codierte Informationen, die den Aktivitätszustand von Genen bestimmen. Veränderungen in der inneren und äußeren Umgebung des Organismus, wie beispielsweise Ernährung, Stress, Bewegung oder toxische Chemikalien, haben die Fähigkeit, epigenetische Modifikationen auszulösen. Dies wiederum führt zu einer veränderten Aktivität der Gene“.
Das heißt, der Genotyp des Organismus kann, je nach Umweltbedingungen und aufgetretenen epigenetischen Veränderungen, unterschiedliche Phänotypen aufweisen. Die epigenetische Regulation ermöglicht es dem Organismus, die genetische Ausstattung entsprechend anzupassen und ggf. auch wieder rückgängig zu machen. Denn epigenetische Modifikationen sind reversibel. Ein besonders anschauliches Beispiel für die starken, umweltbedingten epigenetischen Einflüsse auf den Organismus zeigt sich laut Haslberger bei monozygoten Zwillingen, die trotz identischer genetischer Ausgangslage unterschiedliche Entwicklungen des Körpergewichts aufweisen. (3)
Die Rolle der Darmbakterien
Außer Genetik und Epigenetik beeinflusst auch die individuelle Darmmikrobiota die menschlichen Stoffwechselprozesse. Die Darmmikrobiota setzt Ballaststoffe durch Fermentation in epigenetisch aktive, kurzkettige Fettsäuren (Short Chain Fatty Acids, kurz SCFAs) wie Acetat, Propionat und Butyrat um. Diese SCFAs gelangen aus dem Darm in den Blutkreislauf und möglicherweise auch ins Gehirn, wodurch sie als bedeutende Botenstoffe und Bestandteil der Darm-Hirn-Achse fungieren. Sie können positiven Einfluss sowohl auf das Immunsystem als auch das zentrale Nervensystem nehmen.
Eine gestörte Darmmikrobiota hingegen kann zu einer Dysbiose und einem Leaky-Gut-Syndrom führen und damit unterschiedliche krankheitsinduzierende Begleiterscheinungen hervorrufen.
„Die Entwicklung und Erhaltung einer gesunden und diversen Darmmikrobiota und der wichtigen Metaboliten, wie z. B. Butyrat, ist von zentraler Bedeutung für ein gesundes Altern“, erklärte Dr. Haslberger in seinem Vortrag. Denn mit dem Alterungsprozess nehmen die Diversität und die Anzahl bestimmter Bakterien, die Butyrat produzieren, ab, während Entzündungsprozesse zunehmen. „Besonders im Alterungsprozess können gesundheitsfördernde Wirkungen von bakteriellen Metaboliten wie Butyrat hervorgehen. Viele Elemente der ‚Hallmarks of aging‘ wie Entzündungen, zelluläre Seneszenz oder DNARepair werden durch diese Metabolite beeinflusst.
Somit ist die Aufrechterhaltung einer diversen Darmmikrobiota und deren Metabolite ein wichtiger Faktor für gesundes Altern.“ Die Diversität und die Anzahl bestimmter Bakterien, die viel Butyrat produzieren, nehmen jedoch im Laufe des Lebens kontinuierlich ab, während Entzündungsprozesse zunehmen. (4)
Was können wir für eine gesunde, diverse Darmmikrobiota tun
Ein gesunder Lebensstil mit Bewegung, regelmäßigem Sport, wenig Stress und Toxinen, wie Alkohol und Tabakrauch, ist in Kombination mit einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung und Erhaltung einer gesunden und diversen Mikrobiota. Auch regelmäßiges Fasten kann die Struktur der Mikrobiota verbessern und positive, epigenetische Enzyme stimulieren. (5, 6)
Zahlreiche Studien untermauern zudem die präventiven und krankheitsregulierenden Effekte, die der Verzehr von Pro-, Prä-, Post- und Synbiotika auf die Bakteriengemeinschaft im Darm und den gesamten Organismus haben. So hat eine Forschergruppe in einer aktuell veröffentlichten Pilotstudie erstmals die Auswirkungen eines spezifischen probiotischen Produkts auf epigenetische Marker bei übergewichtigen und adipösen Frauen untersucht.
Buchtipp
Die Ergebnisse zeigten die positiven Effekte des neuartigen probiotischen Ansatzes auf die Regulierung der Expression bestimmter miRNAs und mRNAs. Beide Botenribonukleinsäuren sind wichtig für die Regulierung von Entzündungen und der Adipogenese und spielen somit bei der Entstehung und Kontrolle von Adipositas eine wesentliche Rolle. (7) Auch bei der Behandlung von allergischen Erkrankungen gewinnen Pro- und Präbiotika an Bedeutung, wie eine Übersichtsstudie von Lopez-Santamarina et. al aus dem Jahr 2021 darlegt: In einigen Fällen konnte eine Probiotikaeinnahme sowohl Symptome als auch den Schweregrad solcher Erkrankungen nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen mildern. (8)
Immer mehr Belege untermauern zudem, dass die Einnahme von Probiotika die Zusammensetzung und Vielfalt der Darmmikrobiota beeinflussen kann. Ein Umstand, der altersbedingten Veränderungen wirksam entgegensteuern kann und sich damit auf den allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und ein gesundes Altern fördert. Wie Probiotika die Zusammensetzung der Darmmikrobiota bei gesunden älteren Erwachsenen wirksam verändern können und moderate Auswirkungen auf die Immunfunktion haben, zeigten Hutchinson et al. 2021 in einer systematischen Übersichtsarbeit. (9)
„Ein vielversprechender Ansatz zur Förderung eines gesünderen Alterns und zur Prävention altersbedingter Krankheiten besteht in der Entwicklung personalisierter probiotischer Nahrungsmittel“, schloss Dr. Haslberger seine Ausführungen. „In diesem Zusammenhang sind Informationen über die individuelle Umwandlung von Ballaststoffen im Darm zu biologisch aktiven Metaboliten sowie die epigenetische Regulation von zentraler Bedeutung.“
Quellen
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https://www.demografieportal.de/DE/Fakten/lebenserwartung.html?nn=676848 (aufgerufen am 21.11.2023).
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World Health Organization (2015): World report on ageing and health. Unter: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/186463/9789240694811_eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y (aufgerufen am 21.11.2023).
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Kvaløy, K. et al. (2018): Epigenome-wide methylation differences in a group of lean and obese women – A HUNT Study. In: Scientific Reports 8 (1); 16330. DOI: 10.1038/S41598-018-34003-8.
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Hippe, B. et al. (2021): Quantification of butyryl CoA:acetate CoA-transferase genes reveals different butyrate production capacity in individuals according to diet and age. In: FEMS Microbiology Letters 316 (2), S. 130 – 135. DOI: 10.1111/j.1574-6968.2010.02197.x.
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Lilja, S. et al., 2020: Fasting and fasting mimetic supplementation address sirtuin expression, miRNA and microbiota composition. Functional Foods in Health and Disease Vol. 10. No 10 (2020). DOI: 31989/ffhd.v10i10.752.
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Lija, S. et al. (2021): Five Days Periodic Fasting Elevates Levels of Longevity Related Christensenella and Sirtuin Expression in Humans. In: Int J Mol Sci. 22 (5), 2331. DOI: 3390/ijms22052331.
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Okuka, N. et al. (2023): Epigenetic Aspects of New Probiotic Concept – A Pilot Study. In: Life 13 (9), 1912. DOI: 3390/life13091912
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Lopez-Santamarina, A. et al. (2021): Probiotics as a Possible Strategy for the Prevention and Treatment of Allergies. A Narrative Review. In: Foods 10 (4), 701. DOI: 10.3390/foods10040701.
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Hutchinson, A. N. et al. (2021): The Effect of Probiotics on Health Outcomes in the Elderly: A Systematic Review of Randomized, Placebo-Controlled Studies. In: Microorganisms 9 (6), 1344. DOI:3390/microorganisms9061344