Interview: „Eat the rainbow“ Ernährung für einen gesunden Darm
Vielfalt beim Essen fördert die Vielfalt im Darm – in der Theorie ganz einfach. Doch wie eine darmgesunde Ernährung in der Praxis funktioniert, stellt viele von uns vor eine Herausforderung. In diesem Jahr haben wir in Zusammenarbeit mit der Ernährungswissenschaftlerin Christina Wiedemann eine illustrative Broschüre mit dem Titel „Bunte Rezepte zum Wohlfühlen – Alles Gute für mein Bauchgefühl“ entwickelt. Die Diplom-Ökotrophologin arbeitet als Autorin und zertifizierte Yogalehrerin und veröffentlicht erfolgreich Bücher im Bereich Ernährung und Gesundheit. Wir haben uns mit ihr über das Thema Ernährung für einen gesunden Darm ausgetauscht und ein paar hilfreiche Tipps und Ideen für die praktische Umsetzung erhalten.
Foto: ©Coco Lang
Yakult: Wie sind Sie zu dem Thema darmgesunde Ernährung gekommen?
Christina Wiedemann: Generell bin ich als Diplom-Ökotrophologin schon immer an den verschiedenen Aspekten der gesunden Ernährung interessiert.
Nach der Geburt meiner Tochter hat sich mein Blick auf die Art, wie und was wir essen, nochmals geschärft. Denn vom Tag der Geburt an begleiten uns die Darmbakterien, und in den ersten Lebensjahren werden die Weichen für die Besiedelung des Darms gestellt. Auch mit unserer Ernährung können wir die Lebensgemeinschaft in unserem Darm beeinflussen.
Ein spannendes Thema, wie ich finde, welches in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist.
Yakult: Welchen Einfluss hat der Darm auf das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit?
Christina Wiedemann: Das „Superorgan“ Darm ist von zentraler Bedeutung für unsere Gesundheit. Denn der Darm ist Lebensraum für eine große Anzahl an Mikroorganismen, auch als Darmmikrobiota bezeichnet. Jeder von uns besitzt allein rund 38 Billionen Bakterien im Darm, eine unglaubliche Anzahl. Bedeutend für unser Wohlbefinden ist vor allem die Vielfalt verschiedener Bakterien, also die Diversität. Eine gute und artenreiche Bakteriengemeinschaft schützt uns vor unerwünschten Krankheitserregern. Nimmt die Artenvielfalt der Bakterienstämme ab oder wird das Gleichgewicht der Darmmikrobiota gestört, können Entzündungen und Krankheiten begünstigt werden.
Auch ein funktionierendes Immunsystem hängt von einer gesunden Darmmikrobiota ab. Die Bakterien fungieren als Trainingspartner für das Immunsystem. Zudem sind die Darmbewohner wichtige Helfer für unsere Verdauung. Und nicht zuletzt werden auch die Psyche und unser Verhalten vermutlich von der Darmmikrobiota beeinflusst. Der Austausch erfolgt über die sogenannte Darm-Hirn-Achse.
Yakult: Detox, LowCarb, Brainfood – es gibt unzählige Ansätze für eine gesunde Ernährung. Viele von uns sind von den zahlreichen Theorien und Begrifflichkeiten oft überfordert: Wie ist eine darmgesunde Ernährung optimal zusammengesetzt?
Christina Wiedemann: Kurz gesagt, es geht um Balance und Vielfalt. Mit einer bunten, ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung können wir den Darm in seinen Funktionen unterstützen. Eine optimale Ernährung besteht aus reichlich Gemüse und Obst, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten wie Getreide, Brot und Nudeln sowie hochwertigen Fetten. Regelmäßig fermentierte Lebensmittel sorgen für Nachschub an nützlichen Bakterien.
In der Praxis hilft es, die eine Hälfte des Tellers mit Gemüse oder Salat zu füllen und die andere Hälfte mit komplexen Kohlenhydraten und hochwertigen Proteinen. Dazu 1 – 2 EL wertvolles pflanzliches Fett. Je nach persönlicher Vorliebe können drei Hauptmahlzeiten oder mehrere kleinere Mahlzeiten sinnvoll sein. Und nicht vergessen: Ausreichend Flüssigkeit, wie Mineral- und Leitungswasser oder ungesüßte Tees, fördert die Verdauung.
Yakult: Womit kann jeder einfach starten, um etwas mehr für seine Darmgesundheit zu tun?
Christina Wiedemann: Eine vielseitige, ballaststoffreiche Ernährung ist für die nützlichen Bakterien optimales Futter und ist somit eine wichtige Basis für eine funktionierende Bakteriengemeinschaft.
Ballaststoffe kommen fast ausschließlich in pflanzlichen Lebensmitteln vor – in Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Nüssen, Obst und Gemüse. Täglich 30 Gramm sind ideal, die meisten Menschen essen allerdings zu wenig und entziehen so den guten Bakterien die Lebensgrundlage. Am besten daher schon morgens mit Vollkornbrot oder Früchtemüsli in den Tag starten. Das schmeichelt nicht nur den Darmbakterien, sondern die Vollkornprodukte halten auch länger satt. Bei einer Umstellung auf eine ballaststoffreichere Ernährung kann es zunächst zu Blähungen und Völlegefühl kommen. Daher den Verzehr am besten langsam steigern.
Auch resistente Stärke gehört zum Lieblingsfutter der Bakterien. Sie ist von Natur aus in größeren Mengen z. B. in gegarten Hülsenfrüchten wie Bohnen, Erbsen und Linsen enthalten. Resistente Stärke entsteht auch beim Abkühlen gekochter, stärkehaltiger Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Reis oder Nudeln. Selbst erneutes Erhitzen zerstört die resistente Stärke nicht. Bratkartoffeln, Nudelsalat oder gebratener Reis sind daher ein Festessen für die Darmbakterien.
Yakult: Wie können wir die Darmmikrobiota optimal mit unserer Ernährung unterstützen? Welche Lebensmittel sind speziell für die Mikrobiota gut, welche sollten wir in Maßen genießen und warum?
Christina Wiedemann: Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Nahrungsmitteln ist, liefert eine Vielzahl verschiedener Ballaststoffarten, die die Grundlage für eine vielfältige Darmmikrobiota sind. Zu den oben genannten Ballaststoffen zählen auch die als Präbiotika bekannten Inhaltsstoffe Inulin und Oligosaccharide, die natürlicherweise u. a. in Artischocken, Bananen, Chicorée, Hafer, Lauch, Roggen, Spargel, Topinambur und Zwiebeln vorkommen.
Beim Abbau der unverdaulichen Faserstoffe produzieren die Bakterien im Dickdarm sogenannte kurzkettige Fettsäuren, vor allem Buttersäure. Kurzkettige Fettsäuren gelten als Schlüssel für unsere Gesundheit. Sie nähren die Darmzellen, fördern das Wachstum nützlicher Bakterien und stabilisieren die Darmbarriere und die Immunabwehr. Eine pflanzenhaltige Ernährung mit präbiotischen Ballaststoffen fördert die Bildung von ebendiesen kurzkettigen Fettsäuren.
Ein typisch westlicher Ernährungsstil dagegen mit viel Zucker, industriell verarbeiteten Lebensmitteln und ein übermäßiger Konsum von Fleisch und Wurst schaden unserem Darm. Die Darmmikrobiota kommt aus dem Gleichgewicht, was zu einem Rückgang der Artenvielfalt unter den natürlichen Darmbewohnern führt. Das belastet nicht nur die Verdauung, sondern beeinflusst auch den gesamten Stoffwechsel und das Immunsystem negativ.
Yakult: Sie haben im vergangenen Jahr mit uns die Rezeptbroschüre „Alles Gute für mein Bauchgefühl – Bunte Rezepte zum Wohlfühlen“ entwickelt. In dieser Broschüre umfasst ein Teilkapitel das Thema Fermentieren. Wie wichtig sind fermentierte Lebensmittel in unserer täglichen Ernährung?
Christina Wiedemann: Ja genau, fermentierte Lebensmittel sind Powerfood für unseren Darm und sollten täglich auf dem Speiseplan stehen. Sie versorgen den Darm mit wertvollen nützlichen Bakterienkulturen. Oft essen wir Fermentiertes, ohne es zu wissen. Zum Beispiel fermentierte Milchprodukte wie Naturjoghurt, Quark, Kefir oder Buttermilch. Oder auch milchsauer vergorene Lebensmittel wie Sauerkraut, saure Gurken oder asiatische Spezialitäten wie Kimchi, Miso oder Tempeh. Probiotika liefern große Mengen an nützlichen Bakterien, wie Laktobazillen oder Bifidobakterien und sind besonders widerstandsfähig gegenüber Magen- und Gallensäuren. Sie erreichen den Darm lebend und können dort positive Effekte erzielen, indem sie z. B. unerwünschte Bakterien verdrängen.
Yakult: Was kann mein Darm besser „verdauen“ – jeden Tag eine kleine Sünde, z. B. einen ungesunden Snack oder ein Glas Alkohol und sonst immer ausgewogen? Oder sechs Tage die Woche gesund und abwechslungsreich essen und einen Tag über die Stränge schlagen?
Christina Wiedemann: Wer sich regelmäßig einen Cheat Day gönnt und sich an diesem Tag kalorienhaltige Lebensmittel wie Süßigkeiten und Fast Food hineinstopft, wird vermutlich mit Bauchschmerzen und Völlegefühl geplagt auf dem Sofa liegen. Das belastet den Verdauungsvorgang und die Darmmikrobiota gerät aus dem Gleichgewicht. Sich ein Stück Torte oder Eis gönnen oder zum Essen ein Glas Wein, das schadet nicht, sofern man sich ansonsten ausgewogen ernährt. Auf die Menge kommt es an!
Yakult: Und noch eine Abschlussfrage: Wie sieht Ihr persönlicher Ernährungsplan aus? Was essen Sie morgens, mittags und abends?
Christina Wiedemann: Morgens liebe ich meinen warmen Porridge, den ich je nach Jahreszeit mit frischem Obst wie Beeren, Zwetschgen oder Äpfeln verfeinere. Je nachdem, ob meine Familie mittags auch zu Hause ist, koche ich meist zweimal am Tag. Mittags gibt es eher schnelle und einfache Gerichte wie bunte Salate – verfeinert mit Ofengemüse, Hülsenfrüchten, Hirse, Feta usw., im Winter gern wärmende Suppen, Dals, Eintöpfe oder ein Shakshuka. Abends findet unsere Hauptmahlzeit statt, kein klassisches Abendbrot. Am liebsten mögen wir Pasta mit Linsenbolognese.
Die Broschüre „Bunte Rezepte zum Wohlfühlen – Alles Gute für mein Bauchgefühl“, die in Zusammenarbeit mit Christina Wiedemann entstanden ist, können Sie kostenlos unter “Bestellung Rezeptbroschüre” in höherer Stückzahl beziehen oder in digitaler Form unter wissenschaft@yakult.de anfordern.
Über Frau Christina Wiedemann
Christina Wiedemann ist Diplom- Ökotrophologin und hat ihr Studium an der TU München-Weihenstephan absolviert. Sie arbeitet als Autorin und zertifizierte Yogalehrerin. Die passionierte Ernährungswissenschaftlerin veröffentlichte erfolgreich mehrere Bücher im Bereich Ernährung und Gesundheit. Ihre Liebe zum Thema bringt sie auch auf ihrem Blog www.mehrlebensqualitaet.com zum Ausdruck.